Über das absolute Gehör.

Originally published in Zeitschrift für Psychologie, 3, 257-79.

J. von Kries

Die Fähigkeit, die absolute Höhe gehörter Töne jederzeit frei aus dem Gedächtnisse zu erkennen, Ist bekanntlich keine allgemein verbreitete. Sie wird in Musiker-Kreisen gewöhnlich kurz als ein absolutes Gehör bezeichnet; ich will im folgenden diese Benennung, obwohl sich vielleicht manches gegen sie einwenden liesse, auch beibehalten, da es schwer sein dürfte, ihr eine ganz einwurßfreie von ähnlicher Kürze zu substituieren. Auch sei gestattet, das absolute Gehör abkürzungsweise durch A. G. zu bezeichnen. Daß das A. G, sich bei musikalisch gut veranlagten Personen nicht gar zu selten findet und keineswegs, wie noch Valentin geglaubt hatte, eine ganz exceptionelle. kaum jemals zu beobachtende Eigentümlichkeit des Gehörsinnes darstellt, dies ist, so viel mir bekannt, in der sinnesphysiologischen Litteratur erst durch Stumpf [1] angegeben und durch eine Anzahl spezieller Mitteilungen belegt worden, während es allerdings in den Kreisen der Musiker wohl schon lange bekannt war. Nicht minder aber giebt es auch sehr zahlreiche musikalisch gut, sogar hervorragend beanlagte Personen, welche kein A. G. besitzen. "Die Natur, sagt Stockhausen [2], hat nur wenigen Sängern ein absolutes Gehör verliehen. .... Ob das relative Gehör zu einem absoluten herangebildet werden kann, weiss ich nicht. Bei mir selbst habe ich es trotz allen Fleißes nie so weit gebracht. So giebt es auch Komponisten, die berühmt geworden sind, ohne ein absolutes Gehör zu besitzen. Ich erinnere z. B. an Meyerbeer, der stets eine kleine Stimmgabel oder Pfeife bei sich trug, um damit das Gehörte zu vergleichen und zu prüfen."

Da im ganzen über den Gegenstand bis jetzt nur wenig Material vorliegt, und da derselbe, wie ich glaube, nach mehreren Richtungen ein allgemeineres sinnesphysiologisches Interesse besitzt, so möchte ich nachstehend meine darauf bezüglichen Beobachtungen mitteilen. Ich muß dabei um Entschuldigung bitten, wenn ich überwiegend von mir selbst reden werde; allein gerade der Umstand, daß ich das A. G. in gewissem Maße besitze (wenn auch keineswegs in der höchsten Vollkommenheit, die überhaupt vorkommt), hat einerseits schon seit langer Zeit meine Aufmerksamkeit diesem Gegenstande zugewandt, anderseits auch nur gestattet, manche Erfahrungen zu machen, welche durch Beobachtungen an anderen Personen nur schwierig zu gewinnen gewesen wären. Die Spärlichkeit der geeigneten Versuchspersonen und die großen individuellen Verschiedenheiten, welche das A. G. bei den Wenigen, die es überhaupt besitzen, aufweist, sind in der That große Hindernisse für derartige Untersuchungen. Die gegenwärtige Mitteilung verfolgt zum großen Teile auch den Zweck, ähnliche anzuregen, damit für das ganze Gebiet ein etwas reicheres Tatsachen-material gewonnen werde.

Einer Anzahl von Personen, welche mich durch Mitteilung ihrer Erfahrungen, z.T. auch durch Anstellung von Versuchen unterstützt haben, sei hier mein verbindlichster Dank gesagt, vor allem Herrn Konzertmeister Röngen in Leipzig, dessen sehr eingehende briefliche Mitteilungen mir in verschiedenen Richtungen äußerst wertvoll gewesen sind.

Das A. G. besteht, um mit einer etwas genaueren Bestimmung und Abgrenzung unsres Gegenstandes zu beginnen, in der Fähigkeit, die Höhe einzelner gehörter Klänge ohne weiteres Hilfsmittel anzugehen. Es ist also namentlich von dem Intervallgedächtnis, dem "relativen Gehör" zu unterscheiden. Dieses gestattet die gleiche Angabe nur dann, wenn kurz zuvor ein Ton gehört und dessen Höhe auf andere Weise bekannt gegeben wurde. Man könnte vielleicht meinen, daß die Unterscheidung des A. G. von dieser Art der Tonhöhen-Erkennung nicht ganz sicher und streng durchzuführen ist. Tatsächlich aber besteht hier eine ganz scharfe Grenze, und zwar deshalb, weil die Erinnerung an die zuletzt gehörten Töne ganz ungemein schnell verschwindet. Es steht dies ganz in Einstimmung mit den Erfahrungen Wolfes [3]. An mir selbst kann ich gerade durch die Eigentümlichkeiten des A. G. ähnliches konstatieren. Diejenigen Klänge, für welche ich kein. A. G. besitze, erkenne ich kurz nach dem Hören anderer Klänge von bekannter Höhe vermöge der Intervallvergleichung. Diese Möglichkeit erstreckt sich aber immer nur über wenige Minnten. Das A. G. funktioniert dagegen von derartigen Umständen völlig unabhängig; für die Erkennung solcher Klänge, für die ich ein A. Gr. besitze, ist es also gleichgiltig, ob seit dem Hören anderer Töne Minuten, Stunden oder Tage vergangen sind. Das A. Gr. stellt eine dauernde Fähigkeit dar, welche in keiner Weise gerade von den letztgehörten Tönen abhängig ist.

Das A. G. ist. ferner zu unterscheiden von dem Gedächtnis für Klangarten oder Klangkombinationen, vermöge dessen ein gehörter Accord als Dur-Dreiklang, als Qnart-Sext-Accord u. dgl. erkannt wird; es handelt sich bei der uns beschäftigenden Art des Gedächtnisses darum, daß er z. B. als E-dur-Accord erkannt wird. Weniger scharf abzugrenzen. ist dagegen das A. Gr. von derjenigen Unterscheidungsfahigkeit für Hoch und Tief, welche in gewissem Maße eigentlich jedermann besitzt. Auch Personen von geringster musikalischer Beanlagung und Bildung bezeichnen gewisse Töne als hoch, andere als tief und erkennen an einzelnen Instrumenten, besonders wohl an der menschlichen Stimme, ob ein bestimmter Ton der öbern oder der untern Grenze ihres Umfanges nahe steht u. dgl. Auch hier liegen ohne Zweifel Urteile über die absolute Tonhöhe vor. Wenn man gleichwohl dies noch kein A. G. nennt, so liegt dies, glaube ich, an folgendem. In der Bezeichnung der Tonskala wiederholen sich periodisch dieselben Namen, und es stehen anch die gleichbenannten Töne alle in besonderen, durch die Übereinstimmung einer Reihe von Partialtönen bedingte Beziehungen. Hiermit hängt es ohne Zweifel zusammen, daß wie ich für mich auß Deutlichste ausgeprägt finde und gewiß auch für andere Personen mit absolutem Gehör gilt, alle gleichbenannten Töne einen gemeinsamen Charakter zu haben scheinen. Alle A besitzen für mich etwas besonderes, charakteristisches, was sie von den sämtlichen C, E. etc. unterscheidet. Die Erkennung dagegen, welches C ich höre, ist eine Aufgabe ganz anderer Art, als die Unterscheidung von C und. D [4]. Stellen wir uns nun vor, was von Haus aus am wahrscheinlichsten ist, daß die Erkennung der Tonhöhe bei verschiedenen Menschen einfach mit verschiedenen Graden der Genauigkeit statthat, so wird hiernach begreiflich werden, daß die hauptsächlich in Betracht kommende musikalische Verwertung dann völlig aufhört, wenn die Höhe mit einer Ungenauigkeit von einer Quart oder mehr erkannt wird; denn dann kann bezüglich der Benennung eines vorgelegten Tones gar nichts mehr ausgesagt werden. Vielmehr wird, wenn eine Benennung möglich sein soll, die Genauigkeit des Höhenurteils eine solche sein müssen, daß der Fehler jedenfalls nicht mehr als 2 oder 3 Halbtöne beträgt. Die Gewohnheit aber, gehörte Töne sich sogleich und immer als bestimmte Koten vorzustellen, wird sich sogar voraussichtlich nur da ausbilden, wo eine Erkennung bis auf einen Halbton stattfindet.

Indem ich vorläufig von theoretischen Erwägungen absehe und mich auf rein Tatsächliches beschränke, konstatiere ich zunächst, daß ich selbst und eine Anzahl mir bekannter Personen, ebenso wie die von Stumpf beobachteten dieses Vermögen besitzen. Es wird (allerdings zum Teil unter gewissen noch näher zu besprechenden Voraussetzungen) sowohl ein einzelner gehörter Ton jederzeit richtig benannt, als auch ganze Accorde in ihrer Tonart erkannt. Da es sich hier, wie bekannt, um eine individuelle Eigentümlichkeit handelt, so können wir sogleich die Frage aufwerfen, ob es gelingt, diejenigen Umstände anzugeben, von welchen das Vorhandensein oder Fehlen derselben abhängt. Nun ist klar, daß ein gewisser Grad von musikalischer Einübung jedenfalls dazu erforderlich ist, damit dieses Tongedächtnis in der gewöhnlichen Weise sieh bemerkbar mache und hervortrete; es müssen eben die Bezeichnungen der verschiedenen Töne erlernt sein. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, daß eine Erkennung auch in einem etwas anderen Sinne stattfindet, etwa ein Ton nicht als b oder d, sondern als übereinstimmend mit dem Ton einer bestimmten, dem Hörer bekannten Glocke oder Pfeife etc. wieder erkannt werde. Gleichwohl ist ohne Zweifel das Erlernen einer systematischen Bezeichnung der Tonhöhen für das Erkennen eine außerordent-liehe Unterstützung, und eine Erkennung aller möglichen verschiedenen Tonhöhen ohne den Besitz von Benennungen kaum möglich. Eine ganz andere Frage ist es aber, ob das A, G. überhaupt als ein Erfolg der Einübung, insbesondere längerer musikalischer Beschäftigung anzusehen ist. "Alles hängt hier," sagt Stumpf, "von der Übung, vom Gedächtnis, eben damit aber auch von einem individuellen Koeffizienten ab." Ich erwähne diesen Punkt hauptsächlich deshalb, weil meine Beobachtungen der naheliegenden und, wie es scheint, verbreiteten Meinung, daß die Übung hier eine erhebliche Bolle spielt, nicht günstig sind. Mir scheint vielmehr von entscheidender Bedeutung eine individuelle Anlage zu sein. Hierfür spricht zunächst schon die Tatsache, daß selbst Musiker von Profession nur zum kleinen Teil ein A. G. besitzen. Allerdings läßt sich einwenden, daß die musikalische Einübung grade auf die Erkennung absoluter Tonhöhe nicht wesentlich gerichtet ist. Immerhin giebt es manche Musiker (die Äußerung StockhausenS in dieser Hinsicht wurde schon erwähnt), welche grade auf die Erwerbung eines absoluten Gehörs viel Mühe verwendet haben, ohne doch dies Ziel zu erreichen. Es scheint ferner auch, dais diejenigen, die ein A. G. besitzen, sich desselben in der Regel so zu sagen von Anfang an erfreuen, d. h. daß dasselbe schon in früher Jugend bemerklich wird, sobald die Benennung der Töne erlernt worden ist. Es ist bekannt, was in dieser Hinsicht von Mozart berichtet worden ist. [5] Herr Konzertmeister Röntgen teilt mir mit, daß sein Sohn (jetzt Konzertmeister in Amsterdam) schon im Alter von etwa 5 Jahren erkannte, daß eine Stimmgabel nicht, wie ihm gesagt worden war, A, sondern As angäbe, was in der dem Knaben geläufigen Stimmung richtig war. Die meisten mit absolutem Gehör begabten Personen berichten Ähnliches. Die geringe Bedeutung der Übung zeigt sich noch deutlicher bei einem weniger guten Gehör, wie z. B. ich es besitze. Ich habe Klaviertöne, wie ich durch bestimmte Erinnerung feststellen kann, als achtjähriger Knabe ganz sicher erkannt; ich hatte damals erst kurze Zeit (jedenfalls noch nicht 2 Jahre lang) Musikunterricht, auch keineswegs viel Gelegenheit Musik zu hören, Nun ist mein A. G., wie alsbald genauer zu besprechen sein wird, in dem Sinne ein beschränktes, daß ich nicht jeden Klang, sondern nur gewisse Timbres sicher erkenne. Durch eine lange fortgesetzte und speciell auf das Tonerkeimen gerichtete Einübung in den letzten Jahren ist es mir gleichwohl nur in sehr geringem Maße gelungen, mein Erkennungsvermögen in dieser Beziehung zu erweitern. Ich bin daher im Grunde geneigt zu glauben, daß (wie es eine meiner Versuchspersonen ausdrückt) in Bezug auf das Tongedächtnis individuelle Anlage alles und Übung so gut wie nichts ausmacht [6]. Mir ist auch trotz manchen Nachforschens kein Fall bekannt geworden, in dem ein wirkliches A. G. nachweisbar durch Übung erworben worden wäre. Natürlich kann ich diese Anschauung von der geringen Bedeutung der Übung nur als Vermutung auesprechen; es wäre erwünscht, sie durch Erfahrungen anderer Beobachter, sei es nun bestätigt, sei es auch berichtigt zu sehen.

Sehr fraglich scheint mir ferner, um auch diesen Punkt hier gleich zu erledigen, ob das Tongedächtnis mit einer besonders hochgradigen Leistungsfähigkeit des Gehörsinns in anderen Beziehungen in einem regelmäßigen Zusammenhang steht. Weder die absolute Hörschärfe, noch der Intervallsinn ist z. B. bei mir besonders hoch. Ich finde vielmehr in Bezug auf die Erkennung kleiner Differenzen der Tonhöhe gute Geiger mir meist überlegen. Ich möchte danach glauben, daß im Gegensatz zu dem A. G. die Feinheit des Intervallsinnes durch eine hierzu geeignete musikalische Betätigung (namentlich das Spielen von Streichinstrumenten) in hohem Grade gewinnt, und daß meine geringe Leistungsfähigkeit in dieser Beziehung dem Umstände zuzuschreiben ist, daß ich niemals ein Streichinstrument gespielt habe. Als ganz unrichtig muß ich die, wie ich höre, neuerdings: unter Musikern mehrfach vertretene Annahme bezeichnen, daß Geiger im allgemeinen ein A. G. besäßen, Klavierspieler dagegen nicht. Mir sind (außer mir selbst) noch mehrere andere Personen (nicht Musiker von Fach) bekannt, die ein gutes A. G. besitzen, ohne ein Streichinstrument zu spielen, wie ich auch anderseits vortreffliche Geiger kenne, denen jenes Vermögen gänzlich abgeht [7].

Unter den Bedingungen, von welchen die Erkennung der Tonhöhe eich abhängig findet, giebt es einige, die, wenn auch vielleicht nicht in ganz bündiger "Weise erklärbar, doch zu manchen bekannten Tatsachen in dursichtiger Analogie stehen. Dahin gehört zunächst, daß für die Erkennung eine gewisse Stärke und Dauer der gehörten Töne erforderlich ist. Sehr deutlich ausgeprägt ist dieser Umstand für mich bei solchen Klängen, deren Erkennung eine schwierige und unsichere ist, wovon sogleich zu handeln sein wird. Hier finde ich die Erkennung nicht selten unmöglich, wenn ich einen Ton (z. B. den einer Lokomotiv-Pfeife) einmal kurz habe erklingen hören, während nach mehrmaliger Wiederholung des Pfiffs ein sicheres Urteil sich bildet [8]. Bei den leicht erkennbaren Klängen, wie z. B. Klaviertönen, genügt eine geringe Intensität und auch sehr kurze Dauer, um das Urteil sogleich festzustellen. Immerhin läßt sich konstatieren, daß bei ganz kurzdauerndem Erklingen in minimaler Intensität, namentlich auch bei Verdeckung des Klanges durch gleichzeitige Geräusche, die Erkennung beeinträchtigt wird, was im Hinblick auf alle ähnlichen Urteils-Klassen nicht auffallen kann. Beachtenswerter ist die Tatsache, daß, wie ich mit Stumpf und dessen Versuchspersonen finde, die Erkennung der Tonhöhe in den mittleren Lagen am leichtesten und sichersten ist, während sie bei sehr hohen und noch mehr bei sehr tiefen Tönen schwieriger erscheint. Ich finde an mir eine deutliche Verminderung der Sicherheit, etwa wenn die Tonhöhe über cIV oder unter C geht. Ohne Zweifel wird man diese Tatsache damit in Zusammenhang bringen dürfen, daß überhaupt alle musikalischen Beziehungen bei sehr hohen und sehr tiefen Tönen sich weniger ausgeprägt bemerklich machen, als in den mittleren Lagen. So ist es ja namentlich am Klavier schon schwierig, die tiefsten Töne genau zu stimmen, und anch der Intervallsinn hat hier eine viel geringere Feinheit als hei den musikalisch hauptsächlich verwerteten Mittellagen. Ähnliches gilt wohl für die höchsten Töne auch.

Am merkwürdigsten scheint mir aber die Abhängigkeit zu sein, in welcher die Erkennbarkeit der Tonhöhe von der Klangart steht. Ich möchte in dieser Einsicht zuerst berichten, was ich an mir seihst zu beobachten Gelegenheit hatte, und dann das leider nur dürftige Material beibringen, was ich in Bezug auf andere Personen habe zusammenbringen können. — Ich lasse, indem ich hier von verschiedenen Klangarten rede, zunächst solche außer Acht, welche überhaupt keine deutlich ausgeprägte Tonhöhe besitzen und daher nicht ohne weiteres nachgesungen werden können; dies ist z. B. der Fall bei Klängen, die, wie manche Glockentöne, sehr zahlreiche und unharmonische Obertöne enthalten, ferner bei starker Beimischung von (Geräuschen u. dgL Kann, dagegen die Höhe eines Klanges sogleich und mit Sicherheit durch Nachsingen angegeben werden, so liegt nach mancherlei Analogien die Erwartung nahe, es werde hier für denjenigen, der ein A. G. überhaupt besitzt, auch die Benennung der betreffenden Tonhöhe als a, cis u. dgl durchgängig in. ähnlicher Weise möglich sein. Es zeigt sich nun, daß dies durchaus nicht der Fall ist. Ich habe diese Beobachtung an mir schon in meinen Knabenjahren gemacht und mich darüber gewundert. Ich teilte damals für mich die Klänge in erkennbare und nicht erkennbare ein. Zu den ersteren gehörten die Töne des Klaviers und der meisten musikalischen Instrumente (sowohl Streichals Blas-Instrumente), zu den letzteren die Gesangtöne der menschlichen Stimme, ferner Stimmgabeltöne, die Töne vieler Pfeifen, auch die mit der Lippe gepfiffenen Töne. Um den Gegensatz, der in dieser Beziehung stattfindet, ganz hervortreten zu lassen, muß ich bemerken, dass ich z, B. die Klaviertöne mit großer Sicherheit erkannte, so daß Irrungen fast niemals (und dann höchstens um einen halben Ton) vorkamen, während bei Gesangtönen ein Erkennen überhaupt gar nicht stattfand. Die Erkennung der Tonhöhe steht, wie hieraus hervorgeht, unter ganz anderen Bedingungen, als die Vergleichung zweier gehörter Töne oder auch eines gehörten mit einem zuvor nur vorgestellten Tone, da in dieser Beziehung wenigstens innerhalb der hier eingehaltenen Grenzen die Klaugart keine erhebliche Bolle spielt. Es muß daher zuvörderst festgehalten werden und ist in der That für dierichtige Auffassung des ganzen Gebietes fundamental, daß die Tonerkennung nicht auf der Vergleichung mit einem im Gedächtnis aufbewahrten und unabhängig von dem gehörten Tone existierenden oder hervorzurufenden Erinnerungsbilde irgend einer bestimmten Tonhöhe zu beruhen braucht. Besäße ich eine richtige und jederzeit hervorrufbare Vorstellung von jedem beliebigen Toneoder auch nur von einem einzigen und beruhte die Erkennung gehörter Töne auf der Vergleichung mit solchen Erinnerungsbildern, so wäre ein derartiger Unterschied der Erkennbarkeit je nach der Klangart ganz undenkbar. Tatsächlich nun ist auch nichts dergleichen der Fall, Gegenüber der Aufgabe, einen bestimmten Ton mir frei ans der Phantasie vorzustellen und etwa durch Singen anzugeben, bin ich im. höchsten Maße unsicher, und wenn ich es versuche, so gelingt es mir nur in Ausnahmsfällen.. Die ganze Tonerkennung hat also, wenigstens bei mir, mit einem durch Vergleichung sich bildenden Urteil nichts zu thun.

Eine zutreffendere Auffassung des Vorganges uns zu bilden werden wir dagegen in Anknüpfung an die neuerlichen Erörterungen der Assoziationsvorgänge versuchen können. Die Erkennung der Tonhöhe können wir mit Lehmann [9] als eine Wiedererkennung durch Benennung bezeichnen, ja sogar als eines der einfachsten und reinsten Beispiele für diese Art der Erkennung ansehen.

Allerdings gehen ja hinsichtlich der genaueren Auffassung dieser Vorgänge die Anschauungen noch weit auseinander. Ob wir indessen hier eine reine "Beruhrungsassoziation" oder zunächst die Reproduktion eines Erinnerungsbildes früher stattgefundener ähnlicher Empfindungen anzunehmen haben, ist für uns hier nicht von wesentlichem Belang. Jedenfalls hätten wir in der Entstehung des Benennungsurteils einen, in den allgemeinen Rahmen der assoziativen Verbindungen fallenden Effekt der jeweils das Ohr affizierenden Klänge zu erblicken. Wir könnten nun demgemäß sagen, daß gewisse Klänge einen bestimmten Namen reproduzieren, andere aber nicht. Darin ferner, daß ein Klang dies thut, andererseits aber die Vorstellung des Ton-Namens keineswegs ausreicht, um die Vorstellung der betreffenden Tonhöhe hervorzurufen, würde man ein ganz interessantes, aber keineswegs vereinzeltes Beispiel für den allgemeinen Satz finden, daß Assoziationswege nicht allemal in der einen und in der entgegengesetzten Richtung gleich gangbar sind. So kommt es ja z. B. beim Erlernen einer fremden Sprache sehr häufig vor, daß wir ein Wort derselben verstehen (seine Bedeutung kennen), sobald wir es hören, es uns aber nicht einfällt, wenn wir es suchen; es wird also der zugehörige Begriff durch das Wort reproduziert, nicht aber umgekehrt.

Indessen glaube ich, daß die Vorstellung, von der soeben ausgegangen wurde, doch noch einiger Modifikationen bedarf. Wir konnten uns ihr zufolge wohl denken, daß gewisse Klänge einen Ton-Namen reproduzierten und andere nicht, vielleicht auch, daß die einen dies stets, andere nur gelegentlich unter besonders günstigen Bedingungen thun u. dgl. Doch würde diese Auffassung keineswegs ausreichen, um die Mannigfaltigkeit der Vorgänge, die Tatsächlich beim Erkennen stattfinden, zu decken. Wir müssen aber auch bedenken, daß es doch notwendig ist, das Benennungsurteil von einer bloßen Koexistenz der beiden Bewußtseinsinhalte (der gegenwärtigen Gehörsempfindung und des Namens), wie sie die einfachste Folge einer Assoziation wäre, zu unterscheiden, ein Punkt, der, wie ich glaube, in den Theorien und Erörterungen über Assoziation vielfach nicht genügend berücksichtigt wird. Selbstverständlich ist das Erkennen, die Entstehung des Urteils "dieser Ton ist c" nicht dadurch zu ersetzen, daß ich gleichzeitig mit dem Hören des betreffenden Tones etwa willkürlich mir die Bezeichnung c vorgestellt habe. Es gehört also zu der Entstehung des Benerraungsurteils neben der Koexistenz der in dasselbe eingehenden Vorstellungen (Empfindung und Name) doch noch etwas weiteres; es bleibe zunächst dahingestellt, was. Auf dieser Basis erst werden eine Reihe von Besonderheiten verständlich, welche (bei mir) die Tonerkennungen zeigen. Erstlich kann es vorkommen, daß das Hören eines Tones mir sogleich eine gewisse Benennung, sagen wir c, reproduziert, trotzdem aber ich schleißlich in Zweifel bleibe, ob ich c oder d höre. Anderseits aber ist die Erkennung auch dadurch noch nicht ausgeschlossen, daß sich mir beim Hören des Tones nicht sogleich eine bestimmte Bezeichnung aufdrängt. Die Erkennung wird unter diesen Umständen gewissermaßen Sache eines Probierens, eines Tatonnements. Ich versuche also z. B. (ganz willkürlich), den Ton mir als ein c vorzustellen und konstatiere (ich weiß keinen treffenderen Ausdruck dafür zu finden), ob dies geht, ob die Benennung palst. Sehr oft empfinde ich dann aufs deutlichste, daß das nicht der Fall ist, und gelange auch weiter, nach einigem Herumprobieren, bei einem andern Namen zu dem entgegengesetzten Ergebnis und somit zu der ganz sichern Überzeugung, daß eine bestimmte Tonhöhe vorliege, worin ich mich dann auch fast niemals täusche. Man wird ohne Zweifel vermuten, daß hier nun doch die Einmischung des umgekehrten Assoziationsweges vorliege, daß ich mir z. B. unabhängig von dem gehörten Tone die Tonhöhe 0 mea sponte vorzustellen versuche, um diese alsdann mit dem gehörten Tone zu vergleichen. Ich glaube indessen kaum, daß die» der Fall ist. Die Aufgabe, einen bestimmten Ton mir vorzustellen, ist für mich, wie oben schon erwähnt, eine sehr schwierige; von dem ganzen, mir sehr wohl bekannten Verhalten, welches dabei eintritt, ist hier gar keine Spur vorhanden. So kommt es auch gar niemals vor, daß etwa der willkürlich vorgestellte Name eine andere Tonvorstellung hervorriefe und nun deren Nichtübereinstimmung mit dem eben gehörten Tone erkannt, der letztere dann etwa durch das Intervall bestimmt würde. Dieser indirekte Weg der Tonerkennung, der bei manchen Personen eingeschlagen werden mag, kommt bei mir nicht vor. Es handelt sich vielmehr, wie mir scheint, lediglich darum, daß die Entstehung des Urteils durch die, zunächst etwa rein willkürlich hervorgebrachte Vorstellung des zutreffenden Namens begünstigt und erleichtert wird. Diese Tatsache findet auf zahlreichen Gebieten des Gedächtnisses in ganz ähnlicher Weise statt. Wenn uns z. B. der Vorname irgend einer Person ganz geläufig ist, so dokumentiert sich dies darin, daß die ganze Vorstellung der Persönlichkeit sogleich den richtigen Vornamen reproduziert, sobald wir nur unsere Aufmerksamkeit darauf richten. Ist aber dies in geringerem Maße der Fall, so fällt uns häufig, auch wenn uns der Zuname erinnerlich ist, der richtige Vornamen nicht ein; wir können alsdann ein Probieren beginnen, welches oft genug zum gewünschten Resultat führt, indem eine Anzahl von Vornamen, mit dem betreffenden Geschlechtsnamen zusammengefügt, unverzüglich als falsch erkannt werden, schließlich aber wir an einen kommen, bei dem ebenso unmittelbar die Richtigkeit der Verbindung erkannt wird. Ähnliches findet sich, wenn wir die Jahreszahl eines historischen Ereignisses suchen, und dürfte wohl überhaupt sehr vielfach und besonders da vorkommen, wo die Zahl der in Betracht kommenden Verknüpfungen eine beschränkte und dadurch jenes Probieren sehr erleichtert wird.

Hiernach ist nun für den Grad der Erkennbarkeit, den ich irgendwelchen Klängen zuschreiben kann, der Umstand, ob sie eine Benennung reproduzieren oder nicht, zwar auch von Bedeutung, aber nicht allein maßgebend: vielmehr kommt es vor allem auf Art und Genauigkeit des schließlich zu erzielenden Urteile an. Wenn ich die verschiedenen Klänge nach ihrer Erkennbarkeit rangiere, so muß ich an die Spitze die Klaviertöne stellen. Bei diesen ist die Erkennung der Höhe eine ganz unmittelbare; der richtige Name tritt sofort in die Vorstellung; ich bedarf hier keiner merkbaren Zeit der Überlegung, auch ist hier für mich mit derartigen Versuchen nicht die geringste geistige Anstrengung verbunden. Was den hier erreichten Genauigkeitsgrad anlangt, so möchte ich glauben, daß er, der Natur des Sinnesorganes nach, wohl über die Erkennung von Halbtonstufen noch hinausgehen könnte, daß aber verschiedene Umstände dem hinderlich entgegenstehen. Wenigstens kommt es ab und zu vor, daß mir ein Ton z. B. anfänglich als c erscheint, ich dann unsicher werde, ob er nicht vielleicht cis ist, woraus ich dann den richtigen Schluß ziehe, daß ich es mit einem im Vergleich zu der mir geläufigen Stimmung zu hoch stehenden c zu tun habe. Daß die Erkennung der kleinen Differenzen der Tonhöhe sich in dieser eigentümlichen Art merkbar macht, hegt ohne Zweifel daran, daß unser Benennungssystem keine kleineren Stufen als Halbtöne kennt. Dieser Umstand erschwert naturgemäß die Gewinnung von Sicherheit in der Erkennung kleiner Tonstufen, In der gleichen Richtiung ist wohl auch der Übelstand wirksam, daß wir keine allgemein. verwirklichte Normalstimmung besitzen und daher nicht in die Lage kommen, eine wirklich bestimmte Tonhöhe immer wieder als a, c etc. dem Gedächtnis einzuprägen. So habe ich z. B. Jahre hindurch an meinem eigenen Klavier eine merklich niedrigere Stimmung als diejenige der zumeist gehörten Orchestermusik gehabt. Die verschiedenen Klaviere, auf denen ich selbst gelegentlich spiele oder spielen höre, stehen wieder alle mehr oder weniger ungleich. Es kommen hier im ganzen Differenzen vor, die sieh dem Werte eines Halbtones annähern, und es ist begreiflich, daß dieser Umstand einer genauen Ausbildung des Tongedächtnisses hinderlich entgegensteht.

Ich finde nun, um zu anderen Klangarten überzugehen, annähernd die gleiche Erkennbarkeit bei den durch Streichen hervorgebrachten Geigentönen. Dagegegen ist die Genauigkeit eine schon etwas geringere z. B. bei Klaviertönen, die ich durch Anreißen der Saiten mit dem Finger hervorbringe; hier kommen mir (auch an meinem eigenen Flügel und in den Mittellagen) Irrungen von einem Halbton nicht ganz selten vor; ähnlich wird es sich ohne Zweifel für die Pizzicato-Geigentöne verhalten, worüber ich keine Versuche angestellt habe. Bei den meisten Blasinstrumenten ist das Urteil in ähnlicher Weise etwa um einen Halbton unsicher, noch unsicherer bei den Zungenpfeifen, wie sie z. B. in den Appun'schen Oberton-Appaxaten benutzt werden, wo ich oft um einen ganzen oder anderthalb Töne schwankend bin. Bei all diesen Klängen reproduziert aber die Empfindung, sobald ich überhaupt darauf achte, die betreffende Benennung, wenn auch häufig in der unbestimmten Weise, daß ich sogleich zwischen zwei benachbarten Bezeichnungen schwanke. An dem untersten Ende der Erkennbarkeits-Skala stehen nun jene oben erwähnten nicht erkennbaren Klänge, welche zunächst eine Benennung nicht sozusagen von selbst hervorrufen und bei welchen auch das oben erwähnte Probieren ganz resultatlos bleibt. Ich kann also hier von einem Tone mir eben so gut einbilden, daß er c als daß er f ist etc. Ich glaubte nun früher, daß zwischen diesen nicht erkennbaren und den erkennbaren Tönen eine ganz scharfe Grenze zu ziehen sei; doch ist mir neuerdings sehr wahrscheinlich geworden, daß dies nicht der Fall ist. Erstlich finden schon in Bezug auf die unmittelbare Reproduktion eines Ton-Namens mancherlei Übergänge statt, sofern manche Klänge dies wohl ab und zu, aber nicht ganz regelmäßig tun. Außerdem scheint aber auch die Urteilsbildung alle möglichen Grade der Genauigkeit aufzuweisen. Denn ich. finde einerseits Klänge, welche nur äußerst ungenau erkannt werden, anderseits scheint es naheliegend, anzunehmen, daß das mich früher besonders frappierende Verhalten mancher Klänge, welche gar nicht erkennbar sind, seine Erklärung in dem schon oben berührten Umstände findet, daß sich die Ton-Namen periodisch wiederholen und die gleich benannten in gewissen ausgezeichneten Beziehungen untereinanderstehen. Es wurde oben bereits ausgeführt, daß aus diesem Grunde die Erkennung, sobald sie unterhalb eines gewissen Genauigkeitsgrades bleibt, gänzlich zu mangeln scheinen kann.

Außerdem wird hier der Ort sein, zu erwähnen, daß ich das Gebiet dieser unerkennbaren Klänge durch eine lange dauernde Uebung in gewissem Betrage habe einschränken können. So erkenne ich jetzt namentlich Stimmgabeltöne mit leidlicher Sicherheit [10], noch hesser die Klänge hoher Pfeifen, wie z. B. die von Lokomotiven und anderwärts benutzten Dampfpfeifen. Doch ist auch hier die Reproduktion des Tonnamens oft keine unmittelbare, und ich bin dann auf das vorhin geschilderte Probieren angewiesen, auch bin ich meist um mindestens einen Halbton unsicher. Ich erkenne also diese Klänge zwar entschieden besser als früher, aber noch jetzt nicht annähernd mit der Leichtigkeit und Sicherheit, wie ich sie gegenüber Klavier- und Geigentönen besitze. Namentlich bedarf ich hier fast immer einer längeren Überlegung. Die Töne von Glocken und Gläsern, selbst solchen, die keine merklichen unharmonischen Obertöne haben, schön und rein klingen und leicht nachzusingen. Bind, erkenne ich auch jetzt fast nie; doch macht sinh bei ihnen, ebenso bei den mit den Lippen gepfiffenen Tönen und in noch höherem Maße bei den Gesangtönen der menschlichen Stimme das eigentümliche Verhältnis bemerklich, daß Klänge von ganz gleicher Art zuweilen erkannt und zuweilen nicht erkannt werden. Ein junger Musiker (Herr W.) findet an sich ganz das Gleiche. Der Grund hierfür liegt ganz zweifellos nicht bloß an den allgemeinen Verhältnissen der geistigen Disposition (Ermüdung u. dgl.); eher möchte ich glauben, daß es sich um geringfügige, nicht unmittelbar bemerkbare Unterschiede des Timbres handelt, die die Erkennbarkeit beeinflussen. Vielleicht auch kommt es darauf an, ob die gehörte Tonhöhe mit einem Tone der dem Hörenden geläufigsten Stimmung genau zusammenfällt oder zwischen zwei hinein [11]. Demgemäß nun erkenne ich ab und zu den Ton einer Singstimme ganz sicher und genau (d. h. mit einer Irrung von höchstens einem Halbton), doch ist das ein Ausnahmefall Soprantöne erkenne ich eher als die Töne von Männerstimmen, von diesen aber hohe Tonlagen auch am ehesten. Im ganzen aber sind mir die Töne der menschlichen Stimme immer noch die schwerst erkennbaren. Töne, die ich selbst singe oder pfeife erkenne ich niemals. [12]

Endlich muß hier noch einiges über die Erkennung von Ton-Komplexen angefügt werden. Ich finde in dieser Hinsicht, daß ganz unharmonische Zusammenfügungen schwerer erkennbar sind, als die einzelnen Elemente, Aus unharmonischen Kombinationen von 4 oder 5 Klaviertönen kann ich zwar häufig, aber doch nicht ganz sicher die einzeluen Töne angeben, am wenigsten in den. tiefen Lagen und wenn die einzelnen Töne nahe aneinanderliegen. Weit bemerkenswerter aber als diese Tatsache ist die Erleichterung, welche die Erkennung bei harmonischen Zusammenklängen erfährt. Mir ist in dieser Einsicht von jeher besonders auffällig gewesen, daß mir jeder mehrstimmige Gesang (ohne Begleitinstrumente) sofort den Eindruck einer bestimmten Tonhöhe macht, namentlich wenn die Intervalle mittlerer Konsonanz (Quinten, Quarten oder Terzen) darin vorkommen. So genügt auch oft, wenn ich eine Stimme höre und den Ton nicht erkenne, das Hinzutreten einer zweiten, sich eine Terz tiefer bewegenden Stimme, um das Urteil über die Tonhöhe festzustellen. Diese Tatsaehe ist sehr auffällig, wenn man bedenkt, dass doch bei der Erkennung eines Accordes auch stets die Höhe aller (oder wenigstens mehrerer) Töne implicite erkannt wird. Bei einer von verschiedenen Instrumenten ausgeführten Orchestermusik erkenne ich demgemäß auch stets sicher die Tonart und zugleich, wenn nicht alle, jedenfalls die am meisten hervortretenden einzelnen Töne.

Was die Erscheinungen des A. G. an anderen Personen angeht, so habe ich wenigstens einige Fälle aufgefunden, welche zeigen, daß der bei mir so ausgesprochene Einfluß der Klangart auf die Erkennbarkeit nichts ganz Exceptionelles ist. Am meisten Ähnlichkeit mit dem meinigen hat das A. G. des Herrn FR. P. Dieser (guter Klavierspieler) schreibt mir darüber folgendes: "Ich finde unmittelbar erkennbar nur die Klaviertöne, und zwar derartig, daß der Ton sofort und ohne irgend welche Vermittlung, auch ohne Hilfe der Verstandesthätigkeit... erkannt wird. Dagegen habe ich diesen unmittelbaren Eindruck von allen anderen Arten der Töne, also von Tönen der Streieh und Blasinstrumente, des Gesanges, Pfeifens, der Glocken etc. nicht." Zwar gelingt es Herrn P. meist, diese Töne auf dem Umwege festzustellen, daß er aktiv die Vorstellung irgend einer bestimmten Tonhöhe hervorruft und diese mit dem gehörten Ton vergleicht; doch ist dieses Verfahren nicht ganz sicher, weil bei jener aktiven Hervorrufung einer gewünschten Tonvorstellung Irrtümer unterlaufen. Die direkte Erkennung ist also bei Herrn P. noch beschränkter als bei mir, dagegen ist der Assoziationsweg vom Namen zur Tonvorstellung bei ihm entwickelter als bei mir, wenn auch nicht ganz fehlerlos funktionierend.

Bei einem bekannten Berliner Musiker, der wegen der Sicherheit, mit der er Klaviertöne auch in unharmonischen Zusammenklängen erkannte, renommiert war, hatte ich zufällig Gelegenheit zu konstatieren, daß er den Ton einer (geschulten und sehr klangvollen) Männerstimme um eine Quart falsch bezeichnete. Es ist mir leider nicht möglich gewesen, gerade in diesem Fall genaue Beobachtungen anzustellen.

Bei einer jungen Dame, die sich eines guten, aber nicht gerade hervorragenden A. G. erfreut und neben Klavierspiel sehr viel Gesang getrieben hat, zeigten mir die Versuche auch eine entschiedene Bevorzugung der Klaviertöne vor Stimmgabelund Gesangtönen. Dieselbe trat namentlich darin hervor, daß jene weit schneller und sicherer erkannt wurden, diese zögernd und nach einiger Überlegung, wobei das Bedürfnis bestand, sie "innerlich nachzusingen."

Der schon oben erwähnte junge Geiger, Herr W., besitzt für Klavier- und Geigentöne ein sehr vollkommenes A. G. Pfeifentönen gegenüber funktioniert dasselbe in der dort angegebenen Weise unsicher, so daß die Erkennung nur zuweilen stattfindet.

Ferner wäre hier die Tatsache anzureihen, daß manche Personen zwar Accorde und die Tonart eines ganzen Stückes, nicht aber einzelne Töne erkennen. Solches berichtet u, a. Stumpf von R. Franz. Dieser war einzelnen Tönen gegenüber stets unsicher, während er bei Accorden oder Stücken die Tonart beim Klavier oder Orchester stets richtig erkannte, nicht dagegen an der Orgel.

Im Gegensatz hierzu kann nun allerdings leicht konstatiert werden, daß es zahlreiche Personen auch giebt, für welche das A. G. nicht auf besondere Klangarten beschränkt ist. Als Beispiel hierfür kann zunächst Mozart angeführt werden, von welchem sein Vater ankündigte, "er werde in der Entfernung alle Töne, die man einzeln oder in Accorden auf dem Klavier oder auf allen nur denkbaren Instrumenten, Glocken, Gläsern, Uhren etc. aufzugeben im stande ist, genauest erkennen."

Aber es scheint überhaupt die Fähigkeit, alle Klänge bezüglich ihrer Höhe zu erkennen, nicht gar zu selten zu sein.

Herr Konzertmeister Röntgen findet alle "rein musikalischen'' Klänge (d.h. solche, die von Geräuschen und von unharmonischen Obertönen frei sind) gleich gut erkennbar, namentlich auch die Töne der menschlichen Stimme. Auch an zwei hiesigen Musikern überzeugte ich mich, daß sie Gesang- und Stimmgabeltöne sogleich richtig benannten; beide sagten, wie überhaupt die meisten der in dieser Hinsicht befragten Personen, daß ihnen irgend ein Unterschied der Erkennbarkeit zwischen den verschiedenen Klangarten niemals aufgefallen sei.

Übrigens muß wohl bemerkt werden, daß, wenn auch alle Klänge richtig benannt werden und die betreffenden Personen einen Unterschied der Klangarten in dieser Beziehung nicht bemerkt haben; damit doch noch keineswegs konstatiert ist, ob ein solcher nicht doch besteht und der Genauigkeitsgrad der Erkennung bei verschiedenen Klängen ungleich ist. Erst eine genaue systematische Untersuchung, deren Ausführung aber leider mit sehr großen Schwierigkeiten verknüpft ist, konnte dies zeigen.

Während die Personen der zuletzt besprochenen Kategorie die höchste Leistung des A. G. darstellen, seheint der geringste Grad desselben, der überhaupt noch als A. G. bezeichnet werden darf, sich so zu präsentieren, daß, ähnlich wie ich es an mir gewissen Klängen gegenüber beobachte, die Erkennung eine unsicher funktionierende ist: sie findet gelegentlich statt, gelegentlich nicht, ohne daß ein bestimmter Grund dafür zu konstatieren wäre. Personen dieser Art pflegen, was sehr charakteristisch ist, von einem "Erraten." der Tonhöhe zu sprechen.

Von den hier mitgeteilten Tatsachen dürfte nun namentlich die, in manchen Fällen zweifellos vorhandene Abhängigkeit des Urteils über die Tonhöhe von der Klangart einer genaueren Erörterung wert sein. Es erscheint nämlich nicht recht verständlich, weshalb für das Höhenurteil nicht der Grundton allein maßgebend ist, um so weniger, wenn man bedenkt, daß bei der Vergleichung der Höhe zweier, schnell nacheinander gehörter Klänge Tatsächlich bloß die Übereinstimmung der Grundtöne in Betracht kommt. Zieht mau ferner in Erwägung, daß alle möglichen Klänge gleichen Grundtons mit demselben Namen benannt werden, so sollte man um so mehr erwarten, daß die Benennung sich nur mit der Empfindung des Grundtones verknüpfen, die begleitenden Partialtöne aber dafür irrelevant sein würden, ganz ähnlich, wie wir z.B, die Möglichkeit des Nachsingen» auch tatsächlich innerhalb weitester Grenzen nur durch den Grundton bedingt, von der Klangart aber unabhängig finden. Im Gegensatz hierzu sehen wir in vielen Fällen Assoziation und Urteilsbildung nur eintreten, wenn ganz bestimmte Klangarten vorhanden sind, also jedenfalls nicht den Grundton allein dafür maßgebend.

Suchen wir nach einer Erklärung, so wird sich wohl als nächstliegend der Gedanke darbieten, daß hier eine Folge der besondern Richtung vorliege, welche die Einübung genommen habe. Jedermann, kann man denken, hört gewisse Arten von Klängen vorzugsweise häufig, er verknüpft daher auch die Ton-Namen ganz vorzugsweise mit diesen besonderen Klängen, und es erscheint nicht unverständlich, daß sie von diesen leichter und sicherer hervorgerufen werden als von andern. In der That könnte es nicht überraschen, daß wenn eine Vorstellung (wie hier der Ton-Name) immer mit einem ganzen Empfindungs-Komplex zusammen vorkommt, alsdann auch für ihre Reproduktion der ganze Komplez erforderlich, nicht aber ein einzelner Teil desselben ausreichend ist. Ich glaube indessen nicht, daß die Tatsachen sich in diesem Sinne genügend erklären lassen. Nur die dominierende Stellung, welche die Klaviertöne bezüglich ihrer Erkennbarkeit für mich und einige andere einnehmen, entspricht vielleicht jener Anschauung. Aber die besondere Schwierigkeit, welche ich bei den Tönen der menschlichen Stimme finde, läßt sich danach nicht verstehen. Zufällige Verhältnisse haben es mit sich gebracht, daß ich von meinem zwölften Jahre an lange Zeit fast unausgesetzt sehr viel Gelegenheit gehabt habe, Singstimmen zu accompagnieren. Nun giebt es nichts, was so geeignet wäre, das Tonerkennen zu üben, als das Begleiten, weil man immer auf die Prinzipalstimmen Acht geben und ihre Bewegung verfolgen muß. Gleichwohl gehören die Gesangtöne mir noch jetzt zu den am schwersten erkennbaren. Mit Geigern zusammen zu musizieren, habe ich dagegen erst viel später angefangen, und ich kann mit Sicherheit konstatieren, daß ich die Geigentöne erkannte, als ich noch keine erhebliche Einübung auf sie besitzen konnte. Auch kann man wohl kaum sagen, daß die Geigentöne den Klaviertönen besonders ähnlich wären [13]. Die hiernach schon unwahrscheinlich gewordene Annahme wird aber vollends unhaltbar gegenüber den Erscheinungen der Zusammenklänge. Einzelne Singstimmen hört man ja unendlich viel häufiger als mehrstimmigen Gesang. Findet man also in diesen und, wie es scheint, auch in andern ähnlichen Fällen die Accorde leichter erkennbar als einzelne Töne, so kann dies gewiß nicht auf Unterschiede der Übung zurückgeführt werden.

Dagegen legen gerade diese Tatsachen eine andere Auf. fassung nahe. Man könnte nämlich wohl geneigt sein, hier eine Art des Zusammenhanges psychischer Effekte anzunehmen, wie wir ihn in der That auf andern Gebieten nicht ganz selten finden. Es handelt sich dabei um die wechselseitige Unterstützung verschiedener Assoziations Vorgänge, allgemein formuliert darum, daß zwar der Effekt a vorzugsweise an a und der Effekt ß vorzugsweise an b geknüpft ist, gleichwohl a allein durch a nicht hervorgerufen werden kann, sondern nur a und ß zusammen durch a und b. Beispiele hierfür sind namentlich bei pathologischer Behinderung der Assoziations-vorgänge bekannt. So kommt es vor, daß jemand die Worte eines Liedes nicht zu sprechen, sondern nur zu singen vermag [14]. Auch der von Ehrenfels [15] angeführte Fall, daß jemand sich bestimmte Tonhöhen nur durch die Imagination eines bestimmten Musikstückes vorzustellen vermochte, würde hierher gehören, und überhaupt finden sich wohl auch innerhalb normaler Verhältnisse so manche ähnliche Erscheinungen.

Wenn von ganzen Accorden jeder einzelne Ton richtig benannt wird, jeder für sich allein aber nicht erkannt werden kann, so hat dies ohne Zweifel eine gewisse Analogie mit solchen Erscheinungen. Man könnte dann weiter vermuten, daß bei einzelnen Klängen ein gewisser Reichtum an Übertönen diese den Accorden ähnlicher macht und die Erkennung begünstigt, daß dagegen vorzugsweise schwer die nahezu oder ganz obertonfreien Klänge erkannt werden.

Mir scheint in der That dieser Erklärungsversuch noch am meisten Ansprach auf Beachtung zu haben, obwohl sich ohne Frage auch ihm manche Schwierigkeiten entgegenstellen. Erstlich sind doch auch bei Klaviertönen die Obertöne relativ schwach. Wenn ich, wie es der Fall ist, einen einzelnen kurz angeschlagenen Ton durch mehrere geschlossene Türen hindurch nur ganz schwach vernehme und gleichwohl über die Höhe keinen Augenblick im Zweifel bin, so erscheint es schwierig, da an eine Mitwirkung der Übertöne zu denken; ein Heraushören derselben ist unter solchen Bedingungen völlig unmöglich. Auf der anderen Seite sind auch die Töne der menschlichen Stimme ja keineswegs frei von Obertönen, im Gregenteil jedenfalls reicher daran als Stimmgabeltöne. Trotzdem finde ich die Erkennung der ersteren viel schwieriger.

Ob hier die besondere Natur des Stimmklanges und die sich einmischende Erkennung der Vokale eine Rolle spielt? Ich habe nicht finden können, daß es für die Erkennbarkeit von großem Einfluß ist, auf welchen Vokal ein Ton gesungen wird. Auch die mit geschlossenem Munde hervorgebrachten summenden Töne, welche keinen Vokalcharakter haben, sind ebenso schwierig oder noch schwieriger, als die auf einen Vokal gesungenen zu erkennen. Wenn übrigens, wie die Untersuchungen Hermanns ergeben, zwischen dem charakteristischen Ton des U und dem des 0 eine nur sehr geringe Differenz besteht (Uc3—d2 Od3—e2), so ist die Sicherheit, mit der die beiden Vokale unterschieden werden, und zwar von allen Menschen, im Hinblick auf die sonstigen Leistungen betr. Erkennung der Tonhöhe sicher sehr merkwürdig [16].

Die Auffindung einer ganz befriedigenden und sicher begründeten Erklärung der mitgeteilten Tatsachen muß ich somit der Zukunft überlassen. Eine systematische experimentelle Behandlung der Frage könnte wohl am ehesten dazu führen. Mir ist es bis jetzt nicht möglich gewesen, zu einer solchen zu schreiten, da ich mich nicht in den Besitz der umfangreichen Hilfsmittel habe setzen körnen, die zu einer systematischen Variirung sowohl der Klangfarben als der Tonhöhen erforderlich sind.

Abgesehen von dem, was eine solche Erklärung etwa lehren würde, scheinen mir die Eigenheiten des absoluten Gehörs in mancher Hinsicht interessant zu sein. Daß von zwei Tönen, deren Höhengleichheit unmittelbar erkannt wird, der eine bezüglich seiner absoluten Höhe sicher beurteilt wird, der andere aber nicht: dies kann als ein gewisser Mangel von Logik im psychischen Geschehn bezeichnet werden. In der That hat die Erscheinung wohl manche Analogie mit denjenigen, die Fleischl [17] zu dem Ausspruche veranlaßten, "daß die Gesetze der Logik, insbesondere der Satz des Widerspruchs nur Gültigkeit haben für Gedanken und Vorstellungen, nicht aber für unmittelbare Empfindungen", ein Satz, dessen Formulierung zwar wohl diskutierbar ist, der aber ohne Zweifel eine Anzahl theoretisch sehr wichtiger Tatsachen zum Ausdruck zu bringen wünscht. Die Bedeutung derselben liegt, wie mir scheint, darin, daß sie ein Licht darauf werfen, mit welcher Unmittelbarkeit und Zwangs-mäfsigkeit nicht selten Urteile sich an physiologische Vorgänge Ton derselben Art knüpfen, die wir sonst nur Empfindungen im strengsten Sinne des Wortes bewirken sehen. Doch würde die genauere Verfolgung dieses Gesichtspunktes zu sehr außerhalb des Rahmens der gegenwärtigen Mitteilung fallen und mag daher einer spätern Gelegenheit vorbehalten bleiben.


[1] Stumpf, Tonpsychologie, Bd. I, S. 305 f.

[2] Stockhausen, Gesangsmethode S.1.

[3] Wundts, Philosophische Studien, Bd. III, S. 534 ff.

[4] Eine Aufgabe, die z. B. mir auch lange Zeit so wenig geläufig war, daß ich die Bezeichnungen der verschiedenen Oktaven nicht sicher kannte und oft verwechselte.

[5] Vgl. Stumpf, Tonpsychologie, I, S. 280.

[6] Auch Herr Röntgen ist der gleichen Ansicht "Es scheint," schreibt er mir, "daß die Fähigkeit, die Tonhöhe eines Klanges ohne alle weiteren Hilfsmittel zu bestimmen, manchen Menschen angeboren ist. Es sind oft Versuche gemacht worden, sich dieses Vermögen durch Übung anzueignen; die Resultate sind aber immer nur sehr dürftig und beschränken sich gewöhnlich darauf, die relative Tonhöhe, d. h. die Höhe eines Tones in Bezug auf einen andern gegebenen, bestimmen zu können."

[7] Herr Röntgen teilt mir zur Illustration der Wirksamkeit des A. G. mit, es sei Geigern, die ein solches besitzen, wie a. B. ihm selbst und Herrn Joachim, durchaus unmöglich, mit einer Geige zu spielen, die um einen Halbton zu hoch gestimmt sei, wie dies z. B. Paganini für die Ausführung seines Es-dur Konzerts vorgeschrieben. Gerade ans der Tatsache, daß Paganini diese Anweisung gegeben hat, laßst sich also wohl schließen, daß er seihst und zahlreiche andere Geiger in solcher Weise spielen konnten, also vermutlich kein A, G. besaßen.

[8] Vgl über die Art, wie bei dem wiederholten Hören desselben Klangs verfahren wird, das weiter unten Gesagte.

[9] Lehmann, Wundts Philosophische Studien, 1889.

[10] Um in irgend einer Weise ein zahlenmäßiges Material zu geben, will ich erwähnen, daß z. B. in 20 Versuchen mit Stimmgabeln (ich benutzte 12 die chromatische Tonleiter a bis a1 darstellende Gabeln) 7 Urteile richtig, 8 um einen Halbton, 3 um einen ganzen, eines um zwei ganze Töne falsch waren. Der Unterschied im Vergleich mit Klaviertönen, bei welchen in dieser Lage Irrungen niemals (höchstens bei einer von der gewohnten abweichenden Stimmung um einen Halbton) vorkommen, ist also sehr deutlich. Der Hauptuaterschied übrigens tritt in solchen Zahlen nicht hervor; er besteht darin, daß die Erkennung der Stimmgabeltöne unmittelbar als eine viel schwierigere empfunden wird, längerer Überlegung bedarf, das Urteil unsicher bleibt, zuweilen gar nicht abgegeben werden kann etc.

[11] Für diese letztere Auffassung spricht die Tatsache, daß Kinder zuweilen die Untertasten des Klaviers sicherer als die Obertasten erkennen. und bei dem Anschlagen einer der letzteren nicht bloß, wie man zunächst vermuten sollte, Fehler von einem Halbton, sondern von einer Quart machen, fis für eis halten u. dgl., was bei den Tönen der Untertasten nicht vorkommt Solches berichtet Stumpf von einem achtjährigen Mädchen, das er zu prüfen Gelegenheit hatte. Ich erinnere mich, daß bei den frühesten Versuchen in meiner Knabenzeit Ähnliches stattfand.

[12] Die vielfach gemachte Annahme, daß das Erkennen der Tonhöhe auf Empfindungen beruhe, welche die zum Singen des betr. Tones erforderliche Einstellung der Kehlkopfmusknlatnr begleiten, wird hier-durch in zweifellosester Weise ausgeschlossen. Sie ist überhaupt schon dem Umstande gegenüber unhaltbar, daß die Erkennbarkeit der Klänge an ganz andere Bedingungen geknöpft, ist als die Möglichkeit des Nachsingens.

[13] Als jedenfalls nicht zutreffend kann auch die Annahme bezeichnet werden, daß die Erschwerung des Erkannens auf der Beimischung von Geräuschen oder unharmonischen Obertönen beruhe. Beide sind bei den schwer erkennbaren Klängen oft gar nicht vorhanden. Eine Beimischung von Geräuschen aber, wenn feie nicht sehr stark ist, behindert die Erkennung tatsächlich sehr wenig. Ich habe, seit Jahren auf die Erkennbarkeit verschiedener Klänge achtend, in dieser Hinsicht oft die auffallendsten Erfahrungen gemacht und in sehr stark mit Geräuschen vermischten Klängen, z. B. dem. Schall einer Kreissäge oder eines knarrenden Hemmschuhs, sogleich die richtige Tonhöhe erkannt.

[14] VgL über Fälle dieser Art Wallasohek, "Über die Bedeutung der Aphasie für den musikalischen Ausdruck. Vierteljahrsschrift für Musik-Wissenschaft, VII., 1891, S. 61.

[15]  Ober Gestaltqualitäten. Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 1890.

[16] Versucht man, auf anderen Sinneegebieten analoge Erscheinungen zu finden und einer genaueren Prüfung zu unterziehen, so bietet sich. hierzu in erster Linie das absolute Augenmaß, die Erkennung bestimmter, dem Gedächtnisse eingeprägter absolnten Größen, Über einige Tatsachen desselben habe ich von dem hier gegebenen Gesichtspunkte aus an anderer Stelle berichtet. Im Anschluß an die besprochene Vermutung einer Begünstigung des Erkennens durch das Zusammenwirken vieler Elemente könnte man fragen, ob z. B, die Größe ganzer Kreise genauer erkannt wird als der Abstand eines einzelnen Punktpaares. Ich habe hierüber Versnobe in der Weise angestellt, daß ich mir eine Anzahl von Punktpaaren herstellte, welche teils 49,5 teils 50,5 mm Abstand hatten, ebenso eine Anzahl von Kreisen von teils 49,5, teils 50,5 mm Durchmesser. Es wurde dann in zufälligem Wechsel eines der Punktpaare herausgegriffen, und seine Größe beurteilt. Die Versuche erstreckten sich über viele Tage, da bei jedem Versuch dar Einfluß des vorigen möglichst verschwunden sein sollte, also täglich nur eine mäßige Zahl von Versuchen angestellt werden konnte. Analog wurde "bei den Kreisen verfahren. Die noch nicht ganz abgeschlossenen Versuche haben aber schon herausgestellt, daß die prozentische Zahl der richtigen Urteile bei Punktpaaren und bei ganzen Kreisen jedenfalls eine erhebliche Differenz nicht zeigt.

[17] v. Fleischl, Physiologisch-optische Notizen. Wiener Sitzungsberichte Math.-phys. Cl., Bd, 86. 1882.